Andrea Romano, Seica S. p. A.
Die Flying-Probe-Technologie wird derzeit eingesetzt, um kommerzielle und militärische Baugruppen zu testen: bei der Verifizierung von Prototypen, in der Produktion und in der Ersatzteilreparatur. Teure, qualitativ hochwertige und hochzuverlässige Produkte wie Baugruppen in Satelliten bedeuten hierbei zahlreiche, spezielle Herausforderungen. Dazu zählen die Überwindung von Einschränkungen beim physikalischen Zugriff, Genauigkeit und Wiederholbarkeit der Kontaktierung, Vermeidung jeglicher mechanischer oder elektrischer Beeinträchtigung und die Vollständigkeit des Tests. Dieser Artikel schildert die Lösungen für diese Anforderungen, basierend auf der positiven Erfahrung eines anspruchsvollen Kunden.
Der automatische Flying Probe Pilot4d V8 mit seiner Software für die Prozesssteuerung und -überwachungDer Auftrag
Es war keine alltägliche Situation für uns, als wir den Auftrag erhielten, eine Flying-Probe-Lösung für den Test von Satelliten-Baugruppen anzubieten. Wir hatten schon Erfahrung auf ähnlichen Gebieten. Etliche unserer Flying-Probe-Systeme arbeiten in den Bereichen Militär- und Luftfahrtelektronik und werden dort zur Validierung von Prototypen, in der Produktion, zum Test von Feld-Rückläufern und zur Reparatur von Baugruppen in Depots eingesetzt. Wenn unsere Lösung für Flugzeuge geeignet war, warum nicht auch für Satelliten? Trotzdem hatte die Anfrage, Baugruppen zu testen, die für einen dauerhaften Verbleib im Weltraum vorgesehen waren, etwas Einzigartiges. Und bald zeigte sich, dass auch ganz spezielle Herausforderungen damit verbunden sind.
Spezielle Herausforderungen
Baugruppen für Satelliten sind sehr hochentwickelt und haben extrem hohe Anforderungen an ihre Zuverlässigkeit. Sie sind komplex, hochintegriert und – sobald sie sich im Weltraum befinden – lässt sich nichts mehr an ihnen verändern! Darüber hinaus sind sie sehr kostspielig und man muss extrem vorsichtig mit ihnen umgehen, um nicht ein einziges Board zu beschädigen, das so teuer sein kann, wie ein komplettes Testsystem! Den wichtigsten Grund für sein Interesse an unseren Systemen hatte uns der Kunde gleich geoffenbart: Seine Baugruppen waren, aus nachvollziehbaren Gründen, beidseitig extrem dicht bestückt und hatten daher nur eine begrenzte Anzahl von Test- bzw. Viapunkten. Folglich war ein Flying-Probe-System mit vollem Testzugang auf beiden Seiten der Baugruppe eine unverzichtbare Anforderung und unser Pilot V8-System bot sich in idealer Weise dafür an.
Das Pilot V8-System
Das Pilot V8-System ist ein Flying-Probe-Tester mit je vier unabhängigen Testköpfen für beide Seiten des Prüflings. Die Testköpfe sorgen beidseitig für die elektrischen Prüfnadeln, die Farbkameras und weitere, optionale Testkanäle für kapazitive Tests, Lasertests oder Wärmetests. Das System bietet sowohl parametrische und In-Circuit-Tests am spannungslosen Prüfling an als auch funktionale Tests, JTAG-Tests und On-Board-Programmierung am Prüfling unter Spannung. Im Gegensatz zu herkömmlichen Flying-Probe-Testern lädt das Pilot V8-System die Prüflinge vertikal, um die Auswirkungen mechanischer Schwingungen während des Tests zu minimieren und schnelle, wiederholgenaue Ergebnisse sicherzustellen.
Weitere Anforderungen
Die Erfordernisse des Kunden machten jedoch nicht beim zweiseitigen Testzugriff halt. Da die Anzahl der Testpunkte bei seinen Baugruppen sehr begrenzt ist, lässt der Kunde die Kontaktierung des Prüflings auf der Lötseite bei bestimmten Bauteilen zu. Das sind derzeit 0402-Chips, bei künftigen Baugruppen kommen dann 01005-Chips dazu. Der Kontaktierbereich für die Testnadel ist jedoch auf einen engen Bereich des Lots der Anschlussfläche beschränkt: ein kleines, durch den Kunden definiertes Dreieck (Bild 1). Auch hier muss eine minimale Einwirkung der Testnadeln sichergestellt werden. Mit 3 mil-Testnadeln mit einfacher Spitze erzielte das System absolut wiederholgenaue Ergebnisse. Die Kontaktierpositionen schwankten lediglich im Bereich von 5 µm bis 40 µm um die Sollposition. Darüber hinaus kontrolliert das System ein weiches Aufsetzen der Nadeln, gruppiert Tests um einen einmal hergestellten Kontakt, verteilt die Kontaktierungen auf verschiedene Punkte eines Netzknotens und begrenzt die Anzahl der Kontaktierungen am selben Punkt auf einen programmierbaren Grenzwert.
Test mit limitierter Leistung
Nachdem sich der Kunde von der mechanischen Präzision und dem schonenden Umgang mit Prüflingen überzeugt hatte, ging es ihm um die Begrenzung der Leistung, die dem Prüfling während des Tests zugeführt wurde. Das Ziel des Kunden war es, dass alle Power-Off-Tests an Bauteilen stets mit streng limitierten Werten von Spannung, Strom und Leistung durchgeführt werden. Zu den ausgewählten Tests zählten Netz-Impedanztests und Kurzschlusstests, diskrete In-Circuit-Tests, kapazitive Tests auf Unterbrechungen und weitere, ergänzende Prüfungen. Um diese Anforderungen bei der Testgenerierung, dem Debugging und der Testausführung zu erfüllen, wurden Änderungen im Mikrocode des Signalprozessors (DSP) des Stimulus- und Messsystems durchgeführt, die die Spannung auf 1 Volt, den Strom auf 10 Milliampere und die maximale Leistung auf 6 Milliwatt beschränken (Bild 2). Schließlich wurde eine Anzahl unterschiedlicher Testszenarien simuliert, um die Reaktion des Testsystems bei Spannungsausfällen und anderen unerwarteten Ereignissen zu ermitteln und sicherzustellen, dass die Testsequenz auf sichere Weise unterbrochen wird und die zu testende Baugruppe keinen Schaden nimmt.
Tests unter Kundenbeteiligung
Unter aktiver Beteiligung des Kunden wurden in einem Zeitraum von mehr als zwei Monaten Tests und Verifizierungen an Baugruppen durchgeführt, die nach jedem Testdurchlauf genau überprüft wurden. Anschließend erfolgte die offizielle Freigabe des Kunden. Um die Baugruppen im Tester besonders präzise zu positionieren, wurde zusätzlich ein speziell angepasster Rahmen entwickelt. Als sich nach einer Anfangsphase das Vertrauen des Kunden in das System gefestigt hatte, machte er den nächsten Schritt: das Testsystem wurde hochgerüstet um die zu prüfenden Baugruppen auch unter Spannung umfangreichen Funktionstests zu unterziehen. Dabei profitierten die Funktionstests von den erweiterten Testzugriffen auf die Baugruppe durch die Möglichkeiten der Flying-Probe-Technologie. Alle Lösungen, die in diesem Testsystem erfolgreich implementiert worden sind, stehen ab sofort standardmäßig im gesamten Equipment des Flying-Probe-Herstellers zur Verfügung.
Marc Schmuck
Geboren 1973 in Frankreich ist Sales Director und COO der Seica Deutschland GmbH mit Sitz in Karlsruhe/ Ettlingen.
Nach dem Studium als Informatiker mit Fachrichtung Netzwerk, das er in Frankreich absolvierte, arbeitete er zunächst 10 Jahre als Field Engineer und Service Leiter bei namhaften Unternehmen im Bereich Optische Inspektion und Test bevor er sich entschloss, sich dem Vertrieb und Aufbau der Seica S.p.A in Deutschland zu widmen.
Neuestes Modell der Flying Probe Serie – NI Week 2016
Seica feierte an der jährlich stattfindenden NI Week Konferenz in Austin vom 1. bis 4. August 2016 die Weltpremiere des neuen Systems Pilot4D V8 HF. Die einzigartige Lösung verbindet die Flying-Probe-Technologie mit Hochfrequenz-Tests.
Die Entwicklung hin zu immer kleineren Bauteilen und Strukturen in der Elektronik-Branche lässt den Designern wenig oder keinen Raum für Testpunkte. Darüber hinaus führte das Vordringen von Hochfrequenz-Technologien zu einem steigenden Bedarf an Testequipment, das fähig ist, diese typischerweise sehr kleinen Schaltungen zu verifizieren. Das Testen von Leiterplatten-Baugruppen ohne dedizierte Testpunkte ist seit der Einführung von Flying-Probe-Systemen zuverlässig möglich. Der zusätzliche Bedarf, Hochfrequenzsignale zu messen, ist jedoch eine neuartige Herausforderung. Testingenieure wissen um die Schwierigkeiten, die der Test von Hochfrequenzsignalen bedeutet – selbst unter idealen Bedingungen, die nicht auf herkömmlichen Flying-Probe-Systemen basieren.
Seica hat sich den Herausforderungen gestellt und die Probleme gelöst: die hochpräzisen Tastköpfe des Pilot V8-System kontaktieren selbst winzigste Bauteile bis herab zu 008004-Chips. In diese Tastköpfe wurden Hochfrequenz-Mess-Systeme integriert, die HF-Signale bis zu 1,6 GHz verifizieren können. Zahlreiche Innovationen in Hard- und Software flossen in die neue Lösung, um die für diese Hochleistungsmessungen erforderlichen elektrischen Randbedingungen zu erfüllen.
Zu den jetzt möglichen Messungen zählen Taktfrequenz, Anstiegs- und Abfallzeiten sowie Setup- und Holdzeiten kritischer Signale. Das am Messestand präsentierte System Pilot4D V8 HF verfügt über eine integrierte LabVIEW/TestStand-Schnittstelle. Natürlich umfasst das Testsystem auch herkömmliche ICT-Fähigkeiten, die Seicas neues Pilot4D V8 HF letztendlich zu einem einzigartigen Kombinationstester mit ICT-, Funktions- und HF-Test-Fähigkeiten machen.
Über Seica
Gegründet in 1986, ist Seica S.p.A. ein globaler Hersteller von Automatischen Testsystemen und Selektivlötsystemen, mit einer installierten Basis von mehr als 1800 Systemen auf 4 unterschiedlichen Kontinenten. Seica bietet eine komplette Linie von eigenentwickelten Testlösungen und hat starke Partnerschaften etabliert mit Führern aus der Fertigungs- und Inspektionssystemen, um das Portfolio von Lösungen über die gesamte Fertigungslinie zu vergrößer. In einer Zeit von kontinuierlichen Veränderungen, wo Globalisierung die Konkurrenzfähigkeit herausfordert, treibt Seica seine Strategie mit lokaler, direkter Präsenz in Italien, Frankreich, Deutschland, USA und China, um die beste Service und Support Qualität mit einem lokalen, starken, professionalen Team zu bieten.